6.06.2025

Tierschutzhund - Spezialfall?

Warum Training nicht an Herkunft, sondern an Verhalten anknüpfen muss.

Immer mehr Hunde aus dem Tierschutz finden den Weg in deutsche Haushalte – vor allem aus Ländern wie Rumänien, der Türkei oder Griechenland. Diese Entwicklung ist grundsätzlich erfreulich, denn sie gibt vielen Hunden die Chance auf ein besseres Leben. Doch mit dieser Entwicklung entsteht auch ein neuer Trend: Die Erwartung, dass es spezielle Hundeschulen oder ausschließlich auf „Tierschutzhunde“ spezialisierte Hundetrainer geben müsse.

In Social Media oder indirekten Anfragen an Hundeschulen heißt es immer häufiger:

„Kennen Sie sich mit Tierschutzhunden aus?“
„Hat der Trainer selbst einen Hund aus dem Tierschutz?“
„Ich suche einen Hundetrainer, der selbst einen Hund aus dem Tierschutz hat.“

Diese Art von Fragestellung wird zunehmend zum Auswahlkriterium. Hundetrainer werden zunehmend danach beurteilt, was für Hunde sie privat halten, nicht mehr nach dem, was sie fachlich leisten können.

Was unterscheidet denn eigentlich einen Tierschutzhund?

Natürlich bringen viele dieser Hunde eine Vorgeschichte mit. Einige wurden aus Zwingerhaltung befreit, andere lebten an der Kette, auf der Straße, in einem Rudel in der Stadt, in Sheltern (staatliche Tierheime oder Privat geführt), oder in ländlichem Umfeld.

Und ja – Herkunft und frühere Lebensumstände können Einfluss auf das Verhalten eines Hundes nehmen.

Wenn es gesicherte Informationen zur Vergangenheit gibt, dann sollten diese selbstverständlich in die Verhaltensanalyse einfließen. Solche Informationen können wertvolle Hinweise für das weitere Vorgehen liefern.

Aber: Reine Mutmaßungen wie:
„Der wurde bestimmt geschlagen“
„Der musste sicher Schlimmes erleben“
„Der hat in Rumänien bestimmt nur Angst gehabt“
… helfen weder dem Hund noch dem Training. Sie ersetzen keine Analyse und führen leicht zu Fehlinterpretationen.

Der Fokus sollte immer auch auf dem Ist-Zustand liegen:
Was zeigt der Hund aktuell?
Wie reagiert er auf Umweltreize, Menschen, andere Hunde?
Wie sieht seine Körpersprache aus?

Nur eine fundierte Verhaltensbeurteilung auf Basis dessen, was der Hund jetzt zeigt, führt zu wirksamen Trainingsansätzen – unabhängig davon, woher der Hund stammt.

Verhaltensprobleme sind nicht tierschutzspezifisch

Viele Halter glauben, Ängste, Unsicherheiten oder Aggressionsverhalten seien typisch für Tierschutzhunde. Dabei treten solche Themen genauso bei Hunden aus Zucht oder Privathaltung auf.

Ein Hund, der nie Umweltreize kennengelernt hat, kann genauso aus einem „Hobbywurf“ im Garten stammen wie aus einem rumänischen Shelter. Unsicherheit ist kein exklusives Merkmal von Auslandshunden – sondern oft ein Ergebnis mangelnder Sozialisierung oder Überforderung.

Verhaltensprobleme haben viele Ursachen – aber nicht zwangsläufig mit dem Herkunftsland zu tun.

Woran misst sich die Kompetenz eines Hundetrainers?

Ein zunehmend problematisches Phänomen ist die Ansicht, ein Hundetrainer müsse selbst Hunde aus dem Tierschutz besitzen, um „geeignet“ zu sein. Daraus ergibt sich die absurde Logik:

Ein Trainer ohne Welpen kann keine Welpenkurse geben.
Ein Trainer ohne Kleinhund kennt sich nicht mit Dackeln oder Havanesern aus.
Ein Trainer ohne belgischen Schäferhund versteht keine Arbeitshunde.

Das ist natürlich Unsinn.

Ein professioneller Hundetrainer muss in der Lage sein, mit jedem Hundetyp zu arbeiten – egal ob Tierschutzhund, Rassehund, Mix oder Hund aus dritter Hand. Entscheidend ist die fachliche Kompetenz: fundierte Ausbildung, Erfahrung, Empathie, klare Beobachtung und die Fähigkeit, individuelle Trainingswege zu entwickeln.

Spezialisierungen sind sinnvoll – aber keine Pflicht

Natürlich darf ein Trainer sich spezialisieren. Wer sich intensiv mit Herdenschutzhunden beschäftigt, wird deren Besonderheiten tiefgreifend verstehen. Wer sich auf Mantrailing oder Spürhundearbeit spezialisiert hat, kann entsprechende Teams kompetent begleiten.

Aber all diese Spezialisierungen sind fachlich motivierte, freiwillige Entscheidungen – keine Grundvoraussetzung, um mit Hunden aus dem Tierschutz erfolgreich zu arbeiten und: Das hat nichts mit Tierschutz zu tun.

Wenn wir anfangen, Hundetraining nur noch aus einer einseitigen Tierschutzbrille zu betrachten, laufen wir Gefahr, das Berufsbild zu verzerren. Hundetraining darf nicht in bestimmte Richtungen kanalisiert werden, basierend auf emotionaler Zugehörigkeit oder persönlichen Vorlieben.

Nicht allein Mitleid, sondern Verantwortung zählt

Natürlich ist es großartig, einem Hund aus dem Tierschutz ein Zuhause zu geben. Doch mit der Entscheidung, einen solchen Hund aufzunehmen, geht Verantwortung einher. Nicht selten führen emotionale Beweggründe dazu, dass Menschen sich übernehmen oder falsche Erwartungen an Hund und Trainer stellen.

Ein verantwortungsvoller Halter sollte nicht nur bereit sein, Hilfe zu holen, sondern offen für Training sein – und das nicht nur, wenn der Trainer die vermeintlich „richtige Vita“ vorweisen kann.

Nicht Herkunft oder Mitleid entscheiden allein über ein gutes Hundeleben – sondern Stabilität, Klarheit und Training im Hier und Jetzt.

Die Aufgabe der Hundeschule: Aufklärung statt Bestätigung

Wenn sie mich fragen, „Haben sie selbst einen Hund aus dem Tierschutz?“, dann spüre ich, dass es ihnen nicht nur um Neugier geht. Es geht um Vertrauen, um Verständnis, um die Hoffnung, dass ihr Gegenüber weiß, wie es sich anfühlt.

Und genau das ist wichtig: Gefühl.

Als Hundetrainer kann ich diese Frage auch mit „Nein“ beantworten und meinem Kunden erklären was wichtig ist. Warum?

Auch wenn ich selbst keinen Hund aus dem Tierschutz habe, gehört es zu meiner täglichen Arbeit, mit Hunden aus verschiedensten Hintergründen umzugehen. Mein Ziel ist es, das Verhalten Ihres Hundes im Hier und Jetzt zu verstehen – unabhängig davon, wo er herkommt.

Lassen Sie uns gemeinsam schauen, was sie als neues Team brauchen.“

Hundetraining ist kein emotionaler Schulterschluss – sondern fachliches Arbeiten für ein besseres Miteinander.

Fazit: Fachliche Qualität statt Herkunftsdenken

Hundetraining muss individuell sein – zugeschnitten auf den Hund und seinen Menschen. Ob der Hund aus dem Auslandstierschutz stammt, aus einer Zucht kommt oder über Dritte vermittelt wurde, darf dabei keine Rolle spielen.

Ein guter Hundetrainer arbeitet verhaltensorientiert, lösungsorientiert und empathisch – mit Blick auf das Hier und Jetzt.

Die Herkunft des Hundes liefert, wenn sie bekannt ist, Kontext – aber sie bestimmt nicht die Qualität des Trainings.
Die Herkunft des Trainers oder seiner Hunde übrigens auch nicht.

Ein Hund ist kein Mitleidsprojekt – sondern ein Sozialpartner mit Bedürfnissen. Wer sich auf den Moment konzentriert, kann auch mit einer schwierigen Vergangenheit ein stabiles und glückliches Leben gestalten – gemeinsam, mit Herz und Verstand.

Wie finde ich den nun den passenden Hundetrainer?

Selbstverständlich ist es wichtig, sich im Vorfeld über eine Hundeschule, einen Hundeverhaltensberater oder einen Hundepsychologen gut zu informieren. Dazu gehört:

  • Welche Erfahrungen hat die Person bereits im Beruf?
  • Bildet sich der Hundetrainer stetig nach Wissenschaftlichen Erkenntnissen fort?
  • Welche Themenfelder und Trainingsschwerpunkte werden angeboten?
  • Was ist das besondere Profil oder „Steckenpferd“ der Hundeschule?

Neben diesen sachlichen Punkten ist es sehr empfehlenswert, einen Kennenlerntermin zu vereinbaren. In einem solchen Termin kann man nicht nur erste Fragen klären, sondern vor allem herausfinden:

  • Wo genau liegen die aktuellen Herausforderungen im Mensch-Hund-Team?
  • Wie schätzt der Trainer die Situation ein?
  • Und: Stimmt die Chemie?

Denn Hundetraining ist auch Beziehungsarbeit. Wenn kein gutes Bauchgefühl entsteht oder das Vertrauen fehlt, sollte man das Training (noch) oder gar nicht beginnen. Auch wenn im Kennenlerngespräch noch kein detaillierter Trainingsplan erstellt werden kann, bekommt man doch einen klaren Eindruck davon, wie der Trainer arbeitet, welche Ansätze er verfolgt – und ob man sich mit seinem Hund gut aufgehoben fühlt.

Vertrauen, Offenheit und gegenseitige Klarheit sind die Basis für erfolgreiches Training – nicht allein die Herkunft des Hundes oder die private Hundewahl eines Hundetrainers.