Sehen wir die Natur und unsere Hunde noch?
Selfie-Points vs. echte Momente
Die Emsquellen sind ein wunderschönes Naturschutzgebiet – ein Ort der Ruhe, an dem man die Umgebung bewusst auf sich wirken lassen kann. Doch viele Menschen nehmen diese Landschaft kaum noch wahr. Sie laufen mit Kopfhörern durch die Gegend, telefonieren oder scrollen durch ihre Social-Media-Feeds, während sie an all dem vorbeigehen.
Selfie-Points und Fotostopp-Schilder sind vermutlich in erster Linie für Touristen gedacht, die die Landschaft nicht kennen. Doch sie richten sich auch an uns Einheimische. Denn auch wir gehen oft blind durch unsere Umwelt. Manche finden volle Städte attraktiver, weil sie nichts anderes gewohnt sind. Das Gebiet der Emsquellen ist nur ein Beispiel für viele beeindruckende Landschaften, die oft unbeachtet bleiben.
Dabei geht es nicht nur um Natur, sondern auch um unsere Wahrnehmung im Alltag. Besonders als Hundehalter wird mir das bewusst. Ich persönlich verbringe den Hundespaziergang hauptsächlich in der Natur, in Wald und Flur und genieße es, die Umgebung und meinen Hund bewusst wahrzunehmen.
Doch auch hier zeigt sich oft ein anderes Bild: Viele Menschen sind unterwegs, doch ihre Aufmerksamkeit gilt nicht der Natur oder ihrem Hund, sondern ihrem Smartphone oder anderen Ablenkungen.
Auch in Wohngebieten ist dieses Muster erkennbar: Menschen hören Musik, telefonieren oder scrollen durch ihr Handy. Der eigene Hund ist dabei, weil er sich lösen und bewegt werden muss – doch wirklich wahrgenommen wird er oft kaum oder gar nicht.
Wenn er doch Beachtung findet, dann häufig nur, um ihn zu korrigieren, sein Verhalten zu unterbrechen oder ihn auf bestimmte Situationen vorzubereiten, wie das Überqueren einer Straße oder das Warten an einer Ampel.
Der Spaziergang wird zur Pflicht. Man geht raus, schaut irgendwann auf die Uhr, kehrt um – und das war’s. Viele Menschen sind in Gedanken woanders, nicht im Moment, nicht bei ihrem Hund. Die Kommunikation mit dem eigenen Tier fehlt zunehmend.
Häufig entstehen Frustrationen, weil der Hund an der Leine zieht oder andere Hunde und Passanten anbellt. Doch das bewusste Miteinander fehlt. Wir wollen spazieren gehen, walken, Fahrrad fahren, in die Stadt oder auf ein Fest gehen– und unser Hund muss einfach mit. Doch wann bekommt er unsere ungeteilte Aufmerksamkeit oder Unterstützung in unserer Umwelt? Meistens muss er einfach funktionieren und sich unseren Wünschen anpassen. Die Kommunikation mit ihm bleibt auf der Strecke.
Zu Hause hingegen widmen wir ihm volle Aufmerksamkeit: Wir kaufen das beste Futter, hochwertige Kauartikel, viele bequeme Decken und Hundebetten, stilvolle Hundeleinen – nicht nur um unterschiedliche Längen zu haben, oft mehr aus optischen Gründen als aus praktischen. Die Auswahl an Hundegeschirren und Halsbändern ist groß, doch ist die Auswahl eher nicht nur vorhanden, weil das gekaufte wieder mal nicht passt.
Unsere Hunde haben eine große Spielzeugsammlung, sowie Futterbälle zur eigenen Beschäftigung. Der gesunde Hund erhält Massagen, Tierheilpraktiker um auch in dem Bereich dabei zu sein oder auch Tierkommunikation, um zu hören, was bei dem Hund im argen liegt. Die Branche rund um das Haustierwohl ist riesig. Benötigen wir das für unser Tier? Ja und Nein.
Wir lieben unsere Hunde, und das ist auch gut so. So soll es auch sein. Selbst Hundehalter, die ihren Hund als „A-Hund“ bezeichnen, weil er aggressiv auf Artgenossen reagiert, lieben ihn dennoch sehr. Das ist auch wichtig. Denn Verhalten ist immer eine Frage von Sender und Empfänger.
Wir sprechen zu Hause viel mit unserem Hund, schenken ihm Zuwendung und Aufmerksamkeit. Doch was ist draußen? Draußen soll er einfach nur funktionieren.
Wir erwarten, dass er locker an der Leine geht, freundlich zu jedem Hund und Menschen ist, jederzeit abrufbar und aufmerksam bleibt – egal, was um ihn herum passiert. Doch ist das realistisch? Viele Hunde sind überfordert oder geraten in Situationen, die sie vermeiden würden, wenn sie die Wahl hätten.
Gleichzeitig sind wir selbst oft nicht wirklich anwesend. Unsere Gedanken sind bei Terminen oder in der digitalen Welt. Das Smartphone vibriert, das akustische Signal einer Nachricht ertönt, und wir müssen sofort nachsehen. Vielleicht ist es ein Notfall – doch das ist zum Glück nur selten der Fall.
Auch ich bin auf Spaziergängen manchmal in Gedanken versunken, und das ist menschlich. Doch viele Hundehalter sind fast ausschließlich mit sich selbst beschäftigt – zum Nachteil ihres Hundes.
Es wäre gut, ab und zu einen anderen Blick auf uns selbst und unser Handeln zu werfen. Uns bewusst Zeit für die Natur und unseren Hund zu nehmen und unserem Hund die Aufmerksamkeit schenken.
Denn letztlich geht es um dasselbe: Wahrnehmung. Ob wir an einem „Selfie-Point“ oder Fotospot vorbeigehen oder mit unserem Hund spazieren – es geht darum, den Moment bewusst zu erleben. Nicht nur das Offensichtliche zu sehen, sondern wirklich hinzuschauen und zuzuhören.
Die eigentliche Frage ist also nicht nur: Brauchen wir ein Hinweisschild, um die Schönheit der Natur zu erkennen? Sondern vielmehr: Brauchen wir eine Erinnerung daran, wie wichtig echte Verbindung ist – zu unserer Umwelt und zu unseren Hunden?
Eure Silvia von Dein – Dogcoach